„Coup Fatal“ lautet der Titel einer Uraufführung bei den Wiener Festwochen. Das Crossover-Projekt vermischt Barockmusik mit kongolesischen Rhythmen und soll Einblicke in die Geschichte des afrikanischen Staates gewähren. Mitten in Wien war live dabei.

Vermischungen von Klassik und Pop haben stets Beigeschmack. Da tritt Malena Ernman am Songcontest auf. Luciano Pavarotti singt mit den Spice Girls. Sarah Brightman macht – nun ja, was Sarah Brightman halt immer so macht. Crossover.

 

Klar kann das durchaus spannende Mutationen hervorrufen. Bei den Wiener Festwochen zumindest dürfen wir gemischte Gefühle haben. Coup Fatal (zu Deutsch: Todesstoß), eine Idee von Serge Kakudji, Paul Kerstens und Alain Platel springt über viele Genres und Epochen.

 

Steht da ein kongolesischer Gitarrist auf der Burgtheaterbühne und jammt allen Ernstes über die Toccata aus dem Orfeo. Und macht das noch richtig gut. Der Beat stimmt, die Musik kommt an. Monteverdi hätte wohl seine Freude damit.

 

Dann hüpfen 14 Kongolesen quer über die Bühne, spielen so exotische Instrumente wie Likembe (auch als Mbira bekannt) oder Balafon. Tatsächlich hüpfen sie die meiste Zeit, neben dem Singen oder Musizieren oder simultan zu allem. Die Ernsthaftigkeit verliert dabei schon während der ersten Improvisation (ist es eine?) ihre Kraft und wandelt sich in pure Freude am Hier und Jetzt.

 

Kontrastiert wird der Kongo-Beat vom klassisch ausgebildeten Countertenor Serge Kakudji, ebenfalls Kongolese, ebenfalls großer Hüpfer. Kakudji fällt bei seiner Performance vor allem durch die große Beweglichkeit seines Beckens auf, weniger durch die Agilität oder Ausdruckskraft seiner Stimme.

 

Zugegeben, der Altist hat es schwer, neben drei Gitarren, Trommeln und anderen Klangkörpern sein Organ so in Szene zu setzen, wie ihm gebührt und man das im aktuellen Rausch der Starcountertenöre gewohnt ist. Geradeheraus: Manche seiner Arien harmonieren wunderbar mit der afrikanischen Rhythmus- und Klangfügung. Bei anderen, vor allem den großen Barockhadern (am Ende wird zu Lascia ch‘io pianga angesetzt) schadet es.

 

Den Bogen spannt das vom E-Gitarristen Rodrigues Vangama angeführte bunte Ensemble von Monteverdi über Bach bis zu Gluck. Und ganz viel Händel. Zentrale Stücke sind etwa das bereits erwähnte und als Schlussarie gebrauchte Lascia ch’io pianga aus Rinaldo und Stille amare, già vi sento aus Tolomeo. Ein bisschen Vivaldi mischt Kakudji mit Vedrò con mio diletto auch dazu.

 

Außer dem Countertenor sind zwei Ensemblemitglieder (neben dem allgegenwärtigen Hüpfen) vornehmlich mit Gesang beschäftigt. Mit einer gehörigen Portion Charme schnappen sie sich auch in Windeseile jeder eine Schönheit aus dem Publikum und singen ihrer Auserwählten ein schnulziges Ständchen. Can you feel the love tonight lässt grüßen.

 

Die musikalische Komponente jedenfalls kommt an. Es wirkt locker und aufgeräumt, was der Haufen da von sich gibt. Keine schwere Kost zeitgenössischer Klassik, kein aufgesetztes Crossover. Einfach ein kurzes „Che farò senza Euridice“ in anderer Besetzung.

 

Vom inhaltlichen Aspekt versteht man weniger. Das schlichte Bühnenbild würde man am ehesten als Fadenvorhang bezeichnen. Tatsächlich bestehen die „Fäden“ aus Patronenhülsen, Zeichen des ewigen Krieges in Afrika. Auch die blauen Plastikstühle auf der Bühne haben Relevanz. Zeugen Sie von der 50-Jahr Feier des Bestehens der Demokratischen Republik Kongo. Und die wildbunte Kostümierung des Ensembles im Zeiten Teil ist die eigentliche Quintessenz des ganzen Stücks:

 

Es beschreibt die Sapeurs. Eine Gruppe kongolesischer Leute aus den Armenviertel, die Logos teurer Couturiers auf billige Second-Hand-Kleidung nähen. Eine deutliche Ansage. Wer arm ist, muss sich weder so fühlen noch so aussehen. Breiter Schritt und großes Leben made in Kinshasa.

 

Darüber hinaus ist es aber nicht Ziel von Coup Fatal, mit drohendem Zeigefinger propagandahaft mit Politbotschaften um sich zu schmeißen. Das Stück will unterhalten, will vermischen, will kombinieren, was noch nie kombiniert wurde. Das gelingt. Teilweise. Zu sehr sind wir wohl der Disney-Hirnwäsche unterzogen, wie afrikanische Musik klingen muss, wenn sie in westliche Ländern gebracht wird. Und das mit der Barockmusik…

 

Coup Fatal macht Spaß. Nicht nur dem Publikum, sichtlich auch den Akteuren. Die doch in strengen Rastern komponierte Barockmusik passt, bei aller Lust und Freude, da manchmal so gar nicht dazu. Aber vor allem in den Momenten, wo die nicht ganz so abgedroschenen Werke anheizt werden, entsteht neue Harmonie. Doch nix mit Elton John und König der Löwen.

 

Der Beitrag wurde mir von Günter Stummvoll zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!